Fährt man auf der A1 Richtung Norden, passiert man rechterhand die Plattenbausiedlung Mümmelmannsberg. Waschbeton, Hochhäuser, ein Stadtteil vom Reißbrett, für Arbeiter geplant, von der Realität überholt.

Die Zahlen bestätigen die Getto-Geschichte des Stadtteils, zumindest auf den ersten Blick. Verglichen mit dem restlichen Hamburg leben in Mümmelmannsberg mehr Migranten und Empfänger von sogenannten Transferleistungen. Menschen, denen es trotz Arbeit nicht zum Leben reicht ohne staatliche Stütze. Aber eben auch überdurchschnittlich viele junge Menschen, darunter knapp die Hälfte in sogenannter „Mindestsicherung“, also in Kinderarmut.

Abgehängt?

Als „strukturelle Benachteiligung“ bezeichnet Nikolas Schröder vom Stadtteilmarketing die Lage in Mümmelmannsberg. Struktur heißt für ihn: Im Vergleich, auf dem Papier, in den Zahlen. Denn eigentlich fühlen sich die Menschen in „Mümmel“ gar nicht so benachteiligt. Eine Umfrage des Stadtteilmarketings habe ergeben, dass die Einwohner vor allem die Stigmatisierung ihres Stadtteils stört. Von denen, die auf der A1 daran vorbei brettern.

 

Geografische Randlage und Strukturdaten lassen sich schlecht leugnen, doch die Frage ist auch immer, was die Daten sagen sollen. Das Hamburger Sozialmonitoring stuft den Stadtteil als statusniedrig ein, mit wenig Aussicht auf Veränderung. Ein tiefroter Fleck auf einer Karte mit Problemindikatoren.

Einmal Getto, immer Getto?

Tatsächlich hat sich Mümmel verändert, ganz langsam und in kleinen Schritten: In den vergangenen zehn Jahren hat der Anteil der Arbeitslosen langsam aber stetig abgenommen, ebenso die Zahl der Alleinerziehenden und der Empfänger von Transferleistungen. Die Daten des Sozialmonitorings übersehen das, weil sie die einzelnen Gebiete immer nur im Vergleich mit dem Rest betrachten, aber nie für sich allein.

Natürlich führt die Mischung aus Armut und Jugend manchmal zu Problemen: Die Polizei erhebt zwar keine speziellen Daten für das Quartier, ist aber mit drei eigens abgestellten Stadtteil-Polizisten präventiv vor Ort. Einer von ihnen ist Olaf Brückner, der seit 14 Jahren für Mümmelmannsberg zuständig ist. Die Einwohner können sich jederzeit direkt bei ihm melden, seine Handynummer ist bekannt. „Bandenkriminalität hatten wir in den 80er Jahren das letzte Mal in Mümmelmannsberg“, erinnert er sich. Heute gäbe es dort nicht mehr Verbrechen als anderswo in Hamburg.

Mit den anarchisch anmutenden Banlieus in Paris sei das Ganze also nicht zu vergleichen, sagt auch Quartiersmanager Nikolas Schröder. In Mümmelmannsberg gibt es zwar heute schon mehr Schulkinder mit Migrationshintergrund als ohne, aber: „Seit hier in den Siebzigern die ersten Gastarbeiter angekommen sind, haben sich gut funktionierende Netzwerke herausgebildet.“

Kluge Köpfe gegen das Gangster-Image

Parallelgesellschaft Mümmel? „Im Gegenteil“, sagt Schröder. Das Sammelsurium der Kulturen erleichtere es den Zuwanderern, in Deutschland anzukommen. Für erfolgreiche Integration komme es auf die Chance an, etwas aus dem neuen Leben machen zu können. Dafür brauche man vor allem gute Schulen, wie die Ganzstagsstadtteilschule Mümmelmannsberg, die GSM. Über 1.200 Schüler, vom Erstklässler bis zum Abiturienten, lernen hier bei 150 Lehrern. 30 Nationen, außerschulische Projekte, von Angeln bis Zoo, Exkursionen, Theater, Schülerzeitung. Kulturelle Vielfalt wird hier als Stärke gesehen, die Vernetzung mit dem Stadtteil wird gefördert.

Kein Patentrezept für Integration

Die Menschen im Mümmelmannsberg bringen sich ein, trotz vermeintlicher Benachteiligung. Denn Werte wie Fleiß und Teilhabe werden hochgehalten von den mehrheitlich wertkonservativen Einwanderern der Achtziger Jahre. „Aber die Leute haben eben eher gearbeitet, anstatt Deutsch zu lernen“, erklärt Nikolas Schröder. Deshalb verdienen sie heute weniger Geld und sind auf Unterstützung angewiesen. Außerdem könne man das, was anderswo gut funktioniere, nicht einfach so auf Mümmelmannsberg übertragen. Im Zentrum Hamburgs waren es beispielsweise Gemüseläden und Gastronomie, die die Einwanderer der ersten Generation zu gut integrierten Kleinunternehmern gemacht haben.

Kein Platz für Träume

Was in Mümmel fehlt, ist Platz. Und Wohneigentum. Durchschnittlich leben hier drei Mal mehr Menschen auf gleichem Raum als im Rest der Stadt. Wohnfläche wird zur heiß begehrten Mangelware. Da kommen die neuen Pläne des Hamburger Senats genau zur richtigen Zeit: Im vergangenen Herbst hat die Bürgerschaft beschlossen, das sogenannte „Internationale Quartier“ auf den Weg zu bringen. „Damit will man eine positive Entwicklung für das gesamte Gebiet befördern“, sagt Constanze von Szombathely von der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen.

Hier lebt man, wenn man muss

Das klingt optimistischer als die Prognose des Sozialmonitorings, doch die Einwohner sehen diese Pläne skeptisch. Denn in Mümmelmannsberg hat die Stadt schon viel geplant, was letztlich doch nicht funktioniert hat. Vor vier Jahren wurde das Quartier in ein „stadtteilentwicklungspolitisches“ Förderprogramm aufgenommen, das Studenten anziehen sollte, gefördert mit Geld der Hamburgischen Investitions- und Förderbank. Nur hergezogen sei keiner. Denn: „Nach Mümmel zieht man, wenn man muss“, sagt Melih Sentürk, „oder weil man es kennt, zum Beispiel aus der Kindheit.“ Der Deutsch-Türke engagiert sich seit vielen Jahren im multinationalen Elternverein und im Haus der Jugend.

Modernisierung als Fassadenwischerei

Seit 1991 ist Mümmelmannsberg förmlich festgelegtes Sanierungsgebiet. Die Stadt hat das Einkaufszentrum modernisiert, die Gebäude saniert, viel Geld in Erneuerung gesteckt. Zahlreiche Entwicklungsprojekte, energetische Sanierung, Stadtteilmarketing. „Das ist halt alles nur Fassade und macht den Stadtteil nicht zu einem völlig anderen“, sagt Nikolas Schröder. Aber das wäre ja auch das falsche Ziel.