Die Schaufenster sind mit Brettern vernagelt, die Farben der Ladenschilder blättern ab. Menschen gibt es nicht mehr, keine Geräusche, keine Gerüche. Keine Geschäfte.  Das Bild einer deutschen Innenstadt. Es gibt viele, die dieses Bild  gerne zeichnen. Leute wie Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhein, Lehrstuhl für Einzelhandel. In Zeitungsartikeln zum Thema liest man seinen Namen oft, und seine Aussagen ziemlich eindeutig.

„Die Beziehung des deutschen Einzelhandels zu seinen Kunden ist nachhaltig gestört. Die stationären Geschäfte müssen komplett durchdigitalisiert werden, wenn sie die nächsten Jahre noch überstehen wollen. Der E-Commerce wächst und wächst. Das ist das Zukunftsmodell.“

Ganz unrecht hat er nicht. Der E-Commerce hat in den vergangenen Jahren kräftig zugelegt: 2009 betrug der Anteil am Einzelhandel nicht einmal vier Prozent, 2014 waren es schon über neun Prozent.

Grob bedeutet das aber auch, dass neun von zehn Produkten im Einzelhandel immer noch über die Ladentheke gehen. Nur jedes zehnte Produkt wird online bestellt. Geht es den Einzelhändlern also doch nicht so schlecht wie Heinemann behauptet?  Die Daten deuten darauf hin: Die Zahl der Unternehmen ist in Deutschland seit fast 20 Jahren konstant, nur 2002, 2005 und 2009 gab es kurze Tiefs, die aber vor allem 2002 und 2009 mit der gesamtwirtschaftlichen Lage zusammenhängen. Die Zahl der Beschäftigten steigt über die Jahre gesehen sogar relativ konstant. Inzwischen arbeiten mehr als drei Millionen Menschen im deutschen Einzelhandel. Noch besser sieht es beim Umsatz aus, der von über 300 Millionen (1994) auf fast 500 Millionen (2012) geklettert ist. Die Verkaufsfläche hat sich in den vergangenen 35 Jahren ebenfalls fast verdoppelt. Lag sie 1980 noch bei 63 Millionen Quadratmetern, hat sie 2013 schon über 120 Millionen Quadratmeter erreicht.

Dennoch ist Jens Rothenstein vom E-Commerce-Center Köln der Meinung, dass der stationäre Handel kurz vor dem Ende steht.

„70 Prozent der stationären Geschäfte werden in den kommenden Jahren sterben, wenn sie sich nicht auf die neuen Gegebenheiten einstellen.“

Rothenstein ist sich sicher: Die Einzelhändler brauchen neben ihren Läden zusätzliche Online-Shops, um ihre Produkte im Internet anzubieten. Multi-Channel-Konzept nennt sich das. In der Realität funktioniert die Idee aber noch nicht.  

Satte 62 Prozent der Multi-Channel Händler, also fast Zweidrittel, machten mit ihren Online-Shops 2012 einen Umsatz von unter einem Prozent. Kaum einer der Multi-Channel-Händler konnte im Internet wirklich Geld verdienen. Den Großteil ihres Umsatzes machten sie immer noch im Laden.

Dennoch bleibt das Gefühl, dass das Bild des dahinsiechenden Einzelhandels nicht ganz falsch sein kann. Jeder kennt einen Laden in seiner Heimatstadt, der schließt oder schon geschlossen hat. Dörte Nitt-Drießelmann vom Hamburger Weltwirtschaftsforum hat dafür eine Erklärung:

„Der Einzelhandel stirbt nicht, er wandelt sich nur. Das hat nichts mit der Digitalisierung zu tun, diesen Wandel gibt es schon immer. Im Moment verschiebt sich viel in die Mittel- und Großstädte. Aber das ist eine ganz normale Entwicklung, die Leute werden auch in fünfzig Jahren  immer noch in Läden einkaufen“

In der Tat: Aktuell haben die großen Kleinstädte die Nase vorn. Zumindest, wenn man den Einzelhandelszentralitätsindex der Gesellschaft für Konsumforschung als Maß nimmt. Der Index gibt an, wie viel Kaufkraft die Einwohner eines Kreises auch in ihrem Heimatkreis ausgeben. Die zehn Städte mit dem besten Index sind: Straubing, Passau, Weiden in der Pfalz, Trier, Schweinfurt, Würzburg, Rosenheim, Hof, Memmingen, Zweibrücken. In diesen Städten geht es dem Einzelhandel daher noch ziemlich gut. Und auch insgesamt gibt es weniger Insolvenzen im Einzelhandel, wie die nachfolgenden Daten vom Statistischen Bundesamt zeigen.

Nicht nur für Einzelhändler ist das Bild einer leblosen Innenstadt mit leeren Schaufenstern und geschlossenen Geschäften eine Horrorvorstellung. Auch die Wochenzeitung Die Zeit appellierte: „Die Innenstadt darf nicht veröden“. Diese Titelgeschichte erschien allerdings schon im Mai 1960.