Die Malerfolie für das hellbraune Sofa hat Tatiana Wesson schon besorgt. Auch das Kühlpad liegt im Gefrierschrank bereit – für die Schmerzen danach. Jeden Tag könnte es losgehen, es gilt Rufbereitschaft für Vater Emu und Isabelle Nini, die Hebamme. In spätestens drei Wochen wird Tatiana Wesson entbinden, zu Hause, in der elften Etage eines Wohnblocks in Hamburg-Bahrenfeld. Vor dem Fenster steht ein Wäscheständer mit blauer Kinderkleidung. Nelson und Bjarke, beide gerade im Kindergarten, dürfen nach der Geburt die Nabelschnur ihrer Schwester durchschneiden. Isabelle Nini übergibt schon mal die Nabelschnur-Schere, noch steril verpackt: „Die könnt ihr euch später an die Wand hängen, wenn ihr wollt.“ Tatiana Wesson, 32, Sommersprossen, die dicken dunklen Locken zu einem Knäuel zusammengebunden, lacht und streicht sich über den spitzen Babybauch. „Eine Hebamme ist wie eine Freundin auf Zeit. Du kannst ihr alles sagen und sie ist immer da.“

Hörrohr für die Hebamme: In keiner anderen Großstadt in Deutschland schlagen jährlich so viele neue Herzen wie in Hamburg

Dass Tatiana Wesson eine Hebamme gefunden hat, ist keine Selbstverständlichkeit. In Hamburg gibt es viel zu wenige Geburtshelferinnen. „Die Situation ist eine Katastrophe“, berichtet Sonja Brockamp, Hebamme im Stadtteil Harburg. Vor zehn Jahren hätten sich Frauen ab der 18. Schwangerschaftswoche gemeldet, heute wäre das viel zu spät. „Viele melden sich direkt nach dem positiven Schwangerschaftstest bei mir, also ab der sechsten oder siebten Schwangerschaftswoche“, sagt Brockamp. Manche meldeten sich auch schon, wenn sie noch gar nicht schwanger seien, sondern das Kind erst planten.

Die Gründe für den Hebammen-Engpass sind vielfältig: Bis zu 7.500 Euro kostet eine Haftpflichtversicherung für Geburtshilfe im Jahr. Zu viel für viele Hebammen. Außerdem sei der Verdienst so gering, dass einige nur in Teilzeit Kinder entbinden und Mütter versorgen, um in der übrigen Zeit anderswo mehr Geld zu verdienen. Hebammen müssen ihre Arbeit zudem sorgfältig dokumentieren. „Das bedeutet für mich jede Woche noch vier bis acht Stunden unbezahlte Arbeit am Schreibtisch“, sagt Nini, die jedes Jahr mehr als 40 Hausgeburten betreut.

Seit 2001 steigt die Zahl der Neugeborenen in Hamburg stetig an. 19.768 Babys kamen hier 2015 auf die Welt, 4000 mehr als noch 2001. Damit liegt die Geburtenrate in Hamburg deutlich über dem Durchschnitt in Deutschland. Beim Vergleich der einzelnen Stadtteilen liegen Harburg, Altona-Nord, Bahrenfeld und Wilhelmsburg vorn. Warum gerade hier so viele Kinder geborenen werden? Christian Böse vom Statistikamt Nord erklärt sich das mit dem Anteil junger Frauen an der Bevölkerung in diesen Stadtteilen.

Isabelle Nini legt ein tragbares Ultraschallgerät auf Tatiana Wessons Bauch, um die Herztöne des Kindes abzuhören. Kurze Stille im Raum, dann schallt das schnelle Pochen durch das Wohnzimmer. „Ich freue mich so, dass ich nicht ins Auto steigen und in ein Krankenhaus fahren muss, sobald die Wehen einsetzen“, sagt Tatiana Wesson mit einem Lächeln. Hebamme Isabelle Nini wird, wenn die Wehen beginnen, ihr Rufbereitschafts-Handy klingeln hören und nach Bahrenfeld fahren, egal ob Tag oder Nacht. Und dann wird Hamburg wieder um eine Einwohnerin reicher sein.